Freitag, 4. September 2015

Fécamp, der letzte Streich

Bevor wie uns einen netten Platz für die Nacht suchen konnten, mussten wir dringend unter nichtsalziges Wasser hüpfen und uns von der Salzglasur befreien. Da so eine Dusche in freier Wildbahn aber nur schwer aufzuspüren ist, mussten wir uns etwas anderes überlegen: Wir suchten den nächsten Campingplatz auf. Die Rezeption war allerdings jetzt, um 19:00 Uhr, schon nicht mehr besetzt. Na gut, dann machen wir es eben wie das letztes Mal und schleichen uns kackdreist hinein. Zuvor packten wir 2 kleine Pakete mit Duschgel und Handtuch und liefen wie selbstverständlich auf das Gelände. Die sanitäre Anlage war auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen, ein komisches unscheinbares zweistöckiges dunkelgrau angepinseltes Haus. Wenige Minuten später standen wir unter warmen, klaren, sauberen, ja sogar trinkbarem Wasser und konnten unser Glück kaum fassen - eine richtige, eine echte, funktionierende Dusche! Warmes Wasser! Purer Luxus! Ja, in den letzten Tagen war so etwas wirklich eine Seltenheit! Weil wir hier ja aber "eingebrochen" waren, wollten wir uns den illegale Gönnung nicht zu lange geben und schnell wieder verschwinden. Beim Austreten aus der Duschkabine stand uns ein Mann im Weg; er schaute uns an, wir schauten ihn an. Wie lange stand der denn schon hier schweigend herum? Er trug ein Poloshirt mit Logo des Campingplatzes. Sch***...eibenheizanlage! Plötzlich ging uns richtig die Pumpe, hatte er uns erwischt? Wir zwangen uns fix ein Lächeln auf die Lippen und wünschten ihm überfreundlich einen schönen Abend, bevor wir zügig an ihm vorbeizogen und hofften, er würde sich nicht nach uns umdrehen oder uns ansprechen. "Guten Abend", entgegnete er uns und warf uns ein Lächeln zurück. Okay, das war unerwartet. Egal. Weg hier! Puh, das war knapp!
Unsere Dreistigkeit wurde auch direkt mit einem 1A Sonnenuntergang belohnt. Den schauten wir uns noch in Ruhe an und machten uns danach zügig vom Acker, bevor wir doch noch auffliegen würden. Schlafplatz suchen. Diesmal gar nicht so einfach. Es verschlug uns bis nach Fécamp. Ein tolles Städtchen mit Hafen und unzähligen Schiffchen, Booten, Jets und anderen schwimmenden Einzimmerwohnungen. Und genau dort fanden wir unseren Stellplatz. Genial! 

Wir schlugen unser Lager auf, hingen die eim Duschen nass gewordenen Klamotten in den kühlen Nachtwind und zauberten ein deliziöses Dinner in unserer mobilen Einbauküche. Hah, mit den 10-Meter-Wohnmobilen rings um uns herum konnten wir doch locker mithalten! Außerdem bietet die Granny ohne Servolenkung oder elektrische Fensterheber ein optimales Fitnesstraining, Denksport aufgrund der fehlenden Zentralverriegelung und stetige Adrenalinausstöße, wenn der Motor im Kreisverkehr das Bewusstsein verliert; sie ist einfach liebevoll!
Nun ja, da es draußen zunehmend kälter wurde und auch die umliegende Rentnergemeinde sich schon längst in ihre Blechbüchsen verzogen hatten, taten wir es ihnen gleich und nutzen unsere letzte Körperwärme um den Innenraum der Granny zu heizen. Gute Nacht.
Der nächste Morgen begann früh, sonnig aber immer noch recht frisch. Tja, was stand eigentlich heute auf dem Tagesplan? Gar nichts...Darum fuhren wir einfach ein wenig ziellos durch die Weltgeschichte bis nach Dieppe. Hier haute es uns aber auch nicht vom Hocker. Den eigentlichen Plan nach Versailles zu fahren, um das Schloss und den prächtigen Garten mit all seinen Blumen und Brunnen  zu bewundern, verwarfen wir schnell wieder, da wir keine Lust auf Massentourismus, Blitzlichtgewitter und schmatzende Menschenschlangen hatten. Wir fuhren weiter an der einsamen Küste entlang und kamen schließlich zu dem Schluss den Heimweg heute schon anzutreten, um den morgigen Tag nicht mit Fahrerei verbringen zu müssen. Denn zu Hause wartete schon das Binger Winzerfest, viele Freunde, guter Sauergespritzter, furchtbare Schlagermusik, Weck, Woscht und Woi und auch der ein oder andere, der einem leicht lallend und unter feuchter Aussprache unbedingt eine Kassette mit Weisheiten aus seinem Leben drücken will. Was könnte es schöneres geben? Ach ja! Einen hoffentlich prall gefüllten Kühlschrank. Einen ganzen Schrank voll mit sauberen Klamotten. Eine Toilette, die jederzeit benutzt werden kann, sogar mit Sitzfunktion! Entlastung für die Beinmuskulatur! Man braucht nun nicht einmal mehr das gute dreilagige Klopapier aus den Restaurants klauen, denn das hängt da ohnehin einfach herum! Eine Dusche ohne FlipFlop-Pflicht. Und davon abgesehen: Ein Bett, ein richtiges, großes, kuscheliges Bett. Nicht, dass die Granny unkuschlig gewesen wäre... aber...das eigene Bett. Die Freude darauf war kaum zu toppen! So schön ein Leben aus dem Rucksack auch ist, das Gefühl nach Hause zu kommen ist doch jedes Mal wieder unvergleichlich. Und auch nur so macht das Reisen richtig Spaß, wenn das "Heimkommen" auch schön ist! Das Ding war fest, wir fahren nach Hause! :)

Noch ein paar letzte Impressionen:


 zum letzten Mal französisches Meeresgewusel futtern, mhhhhhh :)
 

Alles in allem haben wir Zwei, ähm... Drei einen verdammt coolen Urlaub erleben dürfen. Nicht nur ein Mal ging es an die Grenzen, aus negativer, aber überwiegend natürlich aus positiver Sicht. Es ist schön, dass wir doch frei sind uns unser menschliches Umfeld selbst auszusuchen. Wobei ich die Evolution gerne vor 20, na vielleicht lieber vor 30 oder gar 40 Jahren angehalten hätte. Oder eventuell bin auch nur ich in der falschen Zeit geboren? Jedenfalls in der Zeit, in der Höflichkeit und Wertschätzung noch zum guten Ton gehörten und in der das Phänomen der "Masse" noch nicht die Herrschaft übernommen hat; nicht aber in der gegenwärtigen Zeit, in der "viel" trotzdem nie genug ist. Im Grunde genommen regiert die Technik heute unser aller Leben. So sehr man sich auch dagegen wehrt, früher oder später bricht das Gewohnheitstier in einem aus. Und das ist in den meisten Fällen sehr tragisch, wie ich finde. Umso schöner waren die Tage jetzt ohne Handy, ohne ständigen Kontrollblick auf das leuchtendene Display. Keine Angst zu haben, dass der Akku schlapp macht. Und wenn schon! Wer braucht das Ding gerade?! Reisebilder, das einzige technikbasierende Erzeugnis, was aus meinen Augen auf einer Reise wirklich sinnvoll ist, braucht man nicht alle 2 Sekunden per Whatsapp sofort durch die Welt schicken; die Leute können warten und die Bilder lassen sich noch genauso gut zeigen, wenn man wieder im Lande ist. Das macht im Übrigen auch einen gravierenden, wenn nicht den Unterschied zwischen einem Reisenden und einem Tourist aus! Kein Fernseher mit sinnlosem Gequatsche und sonstigen moralisch fragwürdigen Ausstrahlungen. Keine Meldungen von Mord und Totschlag aus der ganzen Welt. Keine Hektik, kein Fremdschämen, kein künstliches Drama, kein Generve. Einfach nur Ruhe. Die Menschlichkeit der richtigen Leute genießen. Neue interessante Leute und Kulturen kennenlernen. Teilen. Die Natur bestaunen. Nachdenken und Dinge hinterfragen. Ganz für sich allein. Aber auch gute Gespräche zu Zweit. In der Gruppe. Mit Fremden. Bitte sagen, sich über ein Danke freuen. Den Moment würdigen. Das ist Reisen! Das ist wichtig! Und das durften wir so erleben.
Natürlich haben wir aus dem Ärger auf dem Pilgerweg auch unheimlich viel gelernt. Die sogenannte "Fuck-you-Einstellung", also das Abwägen, ob sich eine Diskussion wirklich lohnt, insbesondere mit Leuten die über einen IQ nur knapp über der Zimmertemperatur verfügen, werden wir uns beibehalten, denn den Ärger ist es ja meist doch nicht wert. Wenn das Karma einmal wieder nicht mitspielt...? Whatever! Morgen gibts 'ne neue Chance! Und mit Gewissheit werden wir auch in Zukunft das Handy hin und wieder einfach einmal absichtlich in der Schreibtischschublade vergessen. 
Wir bedanken uns bei allen Leuten, die wir auf der Reise getroffen haben, bei den Herrschaften, die uns geholfen haben die Granny fit zu machen und nicht zuletzt bei unserer Granny selbst, die so tapfer und wacker durchgehalten hat, ganze 4.030km in Summe! Es wird zwar ihre letzte Reise mit uns gewesen sein, bevor sie in den PKW-Himmel kommt, aber wir werden sie stets in guter Erinnerung behalten!

In diesem Sinne - die Welt ist groß! Ihr hört von uns!


Mittwoch, 2. September 2015

Ein Stück Great Ocean Road

Nach den vergangenen 2 ziemlich trüben Tagen war es an der Zeit ein wenig "positive vibes" einzufangen. 
Zunächst trug die Sonne ihren Beitrag dazu bei, die hartnäckige Wolkenfront war endlich durchbrochen. Der einzige meteorologische Gegner war nun noch der küstenbedingte Wind. Und mit dem war nicht gut Kirschen essen! Kompromisslos blies er den ganzen Tag was das Zeug hielt, doch wir ließen uns davon nur wage beeindrucken. 
Zunächst gurkten wir sämtliche Küstenstraßen ab. Die Oberflächen gleichten einem Streuselkuchen, bei dem die Oma zu wenig gebröselt hatte. Durchgeschüttelt erreichten wir schließlich Honfleur und dort hörte, laut Karte, gar jeglicher Straßenbelag auf und verwandelte sich in salzige, blaue Flüssigkeit. Ein Fluß. Besser gesagt die Seine. Na Klasse Willi. Die Granny kann zwar viel, Schwimmen oder Fliegen, das gehörte allerdings nicht zu ihren Stärken. Doch das Glück war mit uns: Plötzlich ragte hier nämlich eine neue, riesige Brücke aus dem Nichts, die uns einen beachtlichen Umweg ersparte und in wenigen Sekunden ans andere Ufer der Seine verfrachtete. Und bevor wir uns versehen konnten, standen Danilo, die Granny und ich in Le Havre. 
Aber Stadt? Nein, danke! Frecherweise ignorierten wir die zweitgrößte Hafenstadt Frankreichs und setzten fort. Noch 30 km trennten uns von unserem nächsten auserkorenen Ziel: Étretat.
Das Navi dirigierte uns auf einen Berg, immer weiter nach oben. Wo zum Teufel wollte es uns denn hinführen? Wir waren doch schon am Ziel gewesen. 
Als wir den Gipfel erreicht hatten, baute sich ein großer, massiver, dreieckiger Steinklotz vor uns auf. Einer mit spitzem Dach und dicken Steinmauern; eine Kapelle! Die armen Leute, die diese tonnenschweren Wacken hier hoch schleppen mussten! Aber was sie gebaut hatten, war den Aufwand eindeutig wert gewesen!
Nach näherer Betrachtung fanden wir heraus, es handelt sich um die Kapelle der Notre-Dame-de-la-Garde. Nicht außergewöhnlich groß, doch an einem Ort gelegen, dessen Schönheit so gewaltig ist, dass die richtigen Worte um ihn zu beschreiben erst noch erfunden werden müssen!
Die Kapelle steht auf einer saftig grünen Wiese, unweit entfernt von der schneeweißen Klippe, die einen unachtsamen Touristen mit Leichtigkeit in die Tiefe reißen könnte, so steil wie sie nach unten abriss und so stark wie das Gebläse hier oben eingestellt war. Die Sonne gab heute ihr bestes und hüllte das quirlige, raue Meer in ein Kleid aus tiefblauen und strahlend türkisen Farbnuoncen, zugleich ließ sie die Felsformationen in ihren natürlichen, aber sehr hellen sandfarbenen Tönen fast weiß erleuchten. In anderen Worten: Die Farbgewalt an diesem Ort war gigantisch, beeindruckend, fast blendend! Auf der noch tauüberzogenen Wiese blitze Danilo plötzlich etwas ins Auge. Er hob es auf und betrachtete es. Es war eine alte Münze! 5 Centimes aus dem Jahre 1974. Wie lange die hier wohl schon liegen mag?
Wir schauten uns um und liefen an den Felsklippen entlang, während der salzige Luftstrom uns durch die Haare kämmte. Hier und dort konnte man auf die dünnen Felsfinger laufen und einzigartige Ausblicke genießen!



so sehen glückliche Kühe aus...

Das alles kam mir irgendwie sehr bekannt vor...Na klar! Hier siehts ja aus wie an der Great Ocean Road! Und das mitten in Europa! 
Nachdem wir uns an der Porte d'Aval, der Aiguille, Manneporte, Falaise d’Amont und Co. sattgesehen hatten, gingen wir der Frage nach, wohin die Treppe führte, die wir zwischen zweier Felsfinger gefunden hatten und sich an der Felswand nach unten hangelte. 
Natürlich führte sie ans Wasser, klar, aber das war nicht alles! An dem Betonblock, auf dem wir nun standen, führte eine Eisentreppe ins Meer. Das musste ja heißen, dass man bei Niedrigwasser hier runterklettern konnte. Natürlich wollten wir uns das nicht entgehen lassen, also warteten wir. Lange. In der Zwischenzeit entdeckten wir hinter uns eine Höhle, die einmal quer durch den gesamten Felsen führte. Sie war nicht besonders hoch und recht dunkel, kamen uns Sonnenstrahlen entgegen wir gelangten an den hier so bekannten Kieselsteinstrand. Wie wir herausfanden, basierte dieser nicht einzig und allein auf einem Naturphänomen, sondern diese tausenden Steine waren tatsächlich durch Menschenhand hergebracht worden. Na, denen scheint es ja wirklich Spaß zu machen Felsen und Geröll durch die Gegend zu schaukeln. Oder aber der Grund liegt darin den Ort vor den hier recht ruppigen Flutwellen zu schützen, indem die Kieselsteine dem Wasser die Kraft entziehen. Gar nicht mal so blöde, diese Franzosen!

Als die Ebbe endlich da war, kletterten wir die rostigen Stiege der Eisentreppe hinunter und bewunderten diese riesigen Felsen, die sich aus so vielen Gesteinsschichten in den Himmel bauten. Wir wurden mit dem Staunen gar nicht mehr fertig; wie klein und unscheinbar man sich plötzlich fühlt...





Doch da die Ebbe uns ja schließlich nicht alle Zeit der Welt lassen würde, kraxelten wir wieder nach oben und schauten uns mal die andere Seite der Bucht an. Als hätten wir heute nicht schon genug schönes gesehen, wurde es immer noch beeindruckender. Es ging weiter durch lichtlose Höhlen, Felsspalten, bei denen man den dicken Bauch einziehen musste, über unvertrauenswürdige, verwitterte, alte Steigeleitern hinauf oder hinab, an verlassene Plätze und geschichtsträchtige Orte. 







Während Danilo nach und nach die Vernunft packte und drängte, dass wir bald umkehren sollten, bevor uns das rückfließende Wasser an den Klippen zerschellen würde (natürlich hatten wir dem Gezeitenplan erhörterweise schon wieder keine Beachtung geschenkt), konnte ich meine Gier nach Entdeckung gar nicht zügeln, weiter und immer weiter weg vom sicheren Land, das die Flut nicht erreichen würde.
Auf einmal beobachteten wir eine ungewöhnliche Situation. Erst als wir näher kamen, verstanden wir, was hier vor sich ging. An einem Felsvorsprung, ungefähr 3-4 Meter über dem Strand hing eine Frau im Felsen, hielt sich an einem alten, maroden Strick fest und versuchte mit einem Fuß sicheren Boden zu erhaschen - aber keine Chance, sie war schließlich keine 3 Meter groß. Über ihr stand ein Mann auf dem Plateau, der ihr Tipps gab, doch auch er konnte zu keinem Erfolg verhelfen. Die Sache war klar, die beiden brauchten Hilfe! 
Wir sprachen sie an, begutachteten die Lage und gaben zuerst der Frau Anweisungen, danach ihm; von hier unten waren Steinnasen und Löcher für einen sicheren Halt ja wesentlich besser zu erkennen, somit konnten wir eine sichere Trittfolge festlegen, nach der die zittrigen 4 Füße sich orientieren konnten. Ein wenig wie Twister. Die letzten 2 Meter mussten die beiden allerdings im freien Fall zurücklegen, doch Danilo bat sich als Luftkissen an, sodass sie direkt in seine Arme hüpften und danach sicher und halbwegs unverletzt, dennoch mit immer noch zittrigen Knien auf sicherem Tarrain standen. Aber sie lachten wieder und bedankten sich tausende Male. Erst jetzt bemerkten wir, dass es Deutsche, besser gesagt echte Berliner, waren. Die gute Tat für diesen Tag? Check! 
Da der Weg für uns an dieser Stelle dann wohl oder übel auch zu Ende sein sollte, denn der Brocken lag uns ja nun selbst im Weg, traten wir mit den adrenalinüberdosierten Berlinern den Rückweg an. 
Zurück am Fuße der Falaise d’aval entdeckten wir einen alten Wehrmachtsbunker und wenn man daraufhin genauer hinsah, fand man fast überall noch Steinbrocken und Überbleibsel von anderen Kriegsbauten, womit wir für einen kurzen Augenblick noch einmal in die Vergangenheit gummitwisteten.
Ein aufregender Tag, der nun so langsam zu Ende ging. Bevor es dunkel werden würde, müssten wir den Berg noch hochlaufen müssen, denn dort stand immer noch die Granny, einsam und verlassen. Nach so langer Pause vom Pilgern gerieten wir doch wahrhaftig etwas außer Puste und waren aberglücklich, als wir oben ankamen. Schlafplatzsuchen stand auf dem Plan.

Dienstag, 1. September 2015

Zeitsprung-Gummitwist

Die Sonne kitzelte unsere Nasen, als sie den stechend blauen Horizont hinaufkletterte. Heftig blinzelnd und noch etwas verdattelt rieben wir uns den Schlaf aus den Augen, streckten die zerknitterten Glieder und kletterten ins Freie. Heute warteten einige hundert Kilometer auf uns. Ein guter Grund, um aufzustehen, herzhaft zu frühstücken, die Granny zusammenzufalten, zu verschnüren und die Leinen loszulassen. 
Das Wetter passte sich dem Tagesthema ziemlich gut an - die Farbpalette der trüben Grautöne verschwamm ineinander und harmonierte so perfekt, dass sie eine ebenso düstere Atmosphäre schaffen konnte. Wir hatten die Normandie erreicht. 
Gestern noch befanden wir uns im frühen 18. Jahrhundert, heute, nach einer kurzen nächtlichen Pause in der Gegenwart, legten wir einen weiteren Zeitsprung in das Jahr 1944 hin.
Zunächst wollten wir Richtung Utah Beach, tatsächlich legten wir aber zuvor einen Zwischenstopp in Saint-Côme-du-Mont ein. Grund dafür war das D-Day Paratroopers Historical Center, das uns von der Straße lockte. Wir beschlossen ein paar Moneten in unsere Bildung zu investieren und verließen das 21. Jahrhundert erneut für eine Weile, um in die finstere Zeit des Zweiten Weltkrieges einzutauchen. Das Museum war in verschiedene Einzelattraktionen aufgebaut, wir starteten mit dem D-Day Experience Museum, das sich selbst als das "Historische Zentrum der FallschirmJäger des D-Days" bezeichnet und die wohl "größte Weltbank von Bildern des zweiten Weltkriegs über die amerikanischen Luftlandetruppen während ihrer verschiedenen Kampfmissionen auf dem europäischen Boden" ausstellt. Hier dreht sich alles um den 06. Juni 1944, an dem die amerikanischen Luftlandedivisionen die Landung auf Utah Beach vorbereiten und unterstützen.
Zum Einstieg drückten wir uns die neugierigen Nasen an den Glasscheiben der Vitrinen platt, in welchen zahlreiche Exponanten von Leutnants, Fallschirmjägern und Offizieren der Luftlandetruppen des D-Days ausgestellt waren, darunter Helme, Uniformen und Blousons mit verschiedensten Auszeichnungen, dog tags, persönliche Briefe und sämtliche Ausrüstungen, die von vielen Veteranen gespendet, oder im Laufe der Zeit gefunden wurden. Die Beschreibungen der einzelnen Ausstellungsstücke, in Ich-Form geschrieben, vermittelten den Eindruck, als hätten sie tatsächlich, jedes für sich, eine eigene, verletzte, aber zugleich stolze, amerikanische Seele, die ihren Besitzer durch eine so grausame, blutrünstige Zeit, in Sieg und Niederlage, begleitet hat. Bereits etwas emotional angeschlagen von all den ergreifenden Geschichten, wurden wir nun in einen Raum geführt, in dem wir Platz nehmen sollten. Vor uns sahen wir eine gläserne Kabine; ein Büro eines Leutnants. Das Licht erlosch, die Seitentür der Kabine flog auf und ein Mann in amerikanischer Uniform kam herein. Er war nicht echt, aber das Hologramm, das uns da gegenüberstand, war so real, dass man meinen konnte, der Leutnant würde wahrhaftig dort auf der Tischkante sitzen und im ernsten Ton zu uns sprechen. Er bereitete uns auf eine Operation vor - Operation Overload, den D-Day, der, laut seinen Worten, in die Geschichte eingehen würde. Es war herauszuhören, wie wütend und zugleich siegessicher er war. Er putschte uns auf und machte uns klar, dass wir diese Nacht niemals vergessen würden. Die Situation wurde derart real dargestellt, dass wir leibhaftig dachten, wir würden gleich in den Krieg ziehen. 
In einem abschließenden Satz wünschte er uns viel Glück und schickte uns, seine Schützlinge, auf die weite Reise, von der so manch einer niemals mehr zurückkehren würde. 
Ebenso plötzlich wie er erschien, verschwand er auch wieder. Für uns ging es weiter in einen anderen, abgedunkelten, sehr lauten Raum, eher eine Maschinenhalle, in der ein Flugsimulator auf uns wartete. Leicht verunsichert betraten wir die C-47 "Stoy Hora", suchten uns einen Platz auf den harten Sitzbänken und schnallten uns an. Der Innenraum des Flugzeuges war wahrheitsgetreu restauriert, außerdem mit Fenster-Bildschirmen ausgestattet, die uns zeigten, dass wir uns gerade auf einem Flugplatz befanden. 
Mit uns saßen noch 2 ältere französische Paare und ein weiteres junges Pärchen in der Flugkabine. Während wir 2 uns absolut in die Situation vertieften und unser Nebennierenmark ordentlich Hormone produzierte, hatten die anderen 6 Wannabe-Soldaten nichts besseres zu tun als Selfies zu schießen, die ältere Fraktion tat sich sogar keinen Zwang an und filmte die gesamte Simulation inklusive uns mit unseren angenervten Gesichtern - ein einzigartiges Bildmaterial, das wir leider oder zum Glück niemals zu Gesicht bekommen werden. Verkehrte Welt, ist es nicht üblicherweise die Generation Y, die ihre Finger keine Sekunde von iPhone und Co lassen kann? Diese Herrschaften stammten aber bestenfalls aus der Zeit des Präkambrium, wobei selbst die dort erstals entstandenen mehrzelligen Organismen und Nesseltiere wahrscheinlich über einen höheren IQ und Anstandsgrad verfügt haben, als unsere nervtötenten Urzeitgesteine hier. Aber wir versuchten die Hurzelwurze auszublenden und konzentrierten uns auf unsere Mission den Krieg zu beenden.
Dann ging es los, die Propeller fingen an zu rotieren, es wurde laut, wir begannen uns in Schräglage zu begeben und hoben ab in die dunkle Nacht, die durch hunderte Kampfflieger am Himmel erleuchtet wurde. Die eigentlichen 17 Stunden Flug waren in schlappen 3 Minuten überstanden, als dann das Feuergewitter startete, die Geschütze ausgefahren wurden, Bomben fielen und unser fliegender Blechkasten, in dem wir bibbernd saßen und hofften diese verdammte Nacht zu überleben, plötzlich unter Beschuss stand. Durch die Fenster konnten wir beobachten, wie unsere unschuldigen, noch viel zu jungen, tapferen Kompagnons, mit denen wir einst gelernt hatten mit einer SMG - Thompson Sub umzugehen, getroffen wurden und mit einem Feuerwerk grausam brennend in einem Funkenregen vom Horizont segelten. Noch gar nicht realisiert, was wir soeben beobachtet hatten, wurden auch wir getroffen. Ein lauter Knall, alles drehte sich, Mayday! Mayday! Wir stürzen ab!
Bevor das dicke Ende kam, war die Simulation zu Ende. Es konnte sich ohnehin jeder denken, dass es aus dieser Höllenmaschine kein Entkommen mehr gab.
Auch, wenn wir als Besucher dieses Museums niemals das empfinden konnten, was ein tatsächlicher Soldat in einer solchen Situation empfunden hat, so kam es dem aber mit Sicherheit recht nahe. Mit einem unbeschreiblich aufgewühlten Gefühl traten wir aus der Maschine, zurück auf sicheren Boden.
Doch hier war die Zeitreise noch lange nicht zu Ende - als nächstes wartete die Villa am Dead Man's Corner auf uns, in der zuerst deutschen Fallschirmjägern ihr Stabsquartier errichteten und dies später als Krankenanstalt nutzten, bevor die Alliierten den Laden gewaltsam stürmten. Maßstabsgetreu wurden hier die Szenen aus der damaligen Zeit nachgestellt. Nach diesem Besuch stand der letzte Punkt dieser Museumseinheit auf dem Plan. In einem Shop konnten tatsächlich alte Kriegsüberbleibsel, gut erhaltene Uniformen, Helme, die einst den Kopf eines Kriegssoldaten schützten, Handwaffen, die mit Sicherheit nicht nur ein Mal zum Einsatz kamen, ja ganze Ausrüstungen und sogar angefangene Zigarettenschachteln aus jener Zeit käuflich erworben werden. Ganz schön verstörend für meine Verhältnisse. Auch einige Bücher und, für meinen Geschmack, sehr vulgär verfasste Komikbücher für Kinder standen hier zum Verkauf bereit.
Alles in allem spreche ich hier ein großes Lob und daraus folgend eine absolute Empfehlung für dieses sehr gelungene Ausstellungskonzept aus, das seinen Besuchern die Möglichkeit gibt durch Zeit und Raum zu reisen und sich einmal mehr klarzumachen, wie glücklich wir jüngeren Generationen uns schätzen können eine solche Zeit bisher nie erlebt haben zu müssen. Hoffentlich bleibt es dabei.
Nach diesem Ausflug verschlug es uns auf einen Kriegsfriedhof, der uns abermals verdeutlichte, wie viele arme Menschen, Familienväter, Söhne und Brüder ihr Leben auf grausamste Weise für den Kampf um den Frieden lassen mussten. Verflixte Ironie.
Anschließend sollte es nun doch endlich an den bekannten Utah Beach gehen, der mit einem weiteren Museum lockte, doch der Einlass war aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit bereits geschlossen. Also schauten wir uns so ein wenig um und lukten durch das große Fenster, um einen Blick in das Innere des Komplexes zu erhaschen. Allerdings drängte nun doch ein wenig die Zeit, wollten wir doch unbedingt noch ein Stück weiterfahren, um so viel wie möglich zu besichtigten, den hier gab es wirklich an jeder Ecke etwas Historisches zu entdecken.
Die Landschaft war wunderschön, wenngleich mit fadem Beigeschmack, wenn man an all die verstorbenen Seelen und das vergossene Blut dachte. Auch das ungute Gefühl in der Magengegend wollte nicht verschwinden.
Letzter Stopp für heute sollte Point du Hoc sein. Hier, unweit vom Omaha Beach entfernt, erstreckten sich über knapp 500 Meter Wiesenboden an der Steilküste der Calvadosküste aberdutzende Bunker und unterirdische Gänge, die auch heute noch zum Teil betreten werden können. Da es aber schon spät am Abend war und die Dämmerung bereits voll eingesetzt hatte, war weit und breit keine Menschenseele mehr zu sehen - wie waren die Einzigen, abgesehen von ein paar Karnickeln, die hier hausten. Das machte die Sache nicht unbedingt besser. Auch hatten wir nicht daran gedacht eine Taschenlampe mitzunehmen. In den dunklen Betonbauten umherzuirren war mehr als gruselig, doch die Neugierde trieb uns voran, so lange, bis wir wahrhaftig die Hand nicht mehr vor Augen sahen. Wir versetzten uns in die Lage der damaligen deutschen Soldaten und stellten uns vor, wie es ihnen wohl in jener Nacht ergangen sein musste, was sie gedacht und gefühlt haben, wie sie durch die massiven Bauten schlichen, durch die Betonschlitze lukten, um zu sehen, was da draußen vorsich ging, wie sie über das Netzwerk aus Gängen kommunizierten und wie sie wohl den Moment erlebten, in denen ihnen klar wurde, dass nun alles zu Ende ging.

Hier einige wenige Bildausschnitte, wenngleich in miserabler Qualität:




Nicht ein Mal in den vergangenen 51 Tagen unserer Reise hatten wir so wenig miteinander geredet, wie an diesem Tag. Das war auch nicht notwendig, denn jeder beschäftigte sich innig und eingenommen mit dem Thema, machte sich seine Gedanken und versank in ihnen.
Betrübt und gleichermaßen erleichtert kehrten wir zum Auto zurück und fuhren ein Stückchen weiter, weg von den Säulen der Historie, weg von Mord und Totschlag, Bomben und Kratern, um einen ruhigen, sicheren Platz für die Nacht zu finden. Den fanden wir in der Nähe von Cabourg. Morgen sollte das Tagesthema wieder etwas freundlicher werden.

Montag, 31. August 2015

Lach- und Sachgeschichten mit Danilo

Heute: Geschichten hinter dicken Mauern

Die Sonne kitzelte unsere Nasen, als sie den stechend blauen Morgenhorizont hinaufkletterte. Heftig blinzelnd und noch etwas verdattelt rieben wir uns den Schlaf aus den Schlitzaugen, die sich noch gar nicht so wirklich öffnen wollten und sich vom Tageslicht ziemlich überfordert fühlten, reckten und streckten unsere eingeschlafenen Glieder und kletterten ins Freie, wo uns eine Überdosis Frischluft entgegenbließ. Mit einem tiefen Atemzug füllten wir unsere Lungen mit dem taufrischen Sauerstoff, man konnte buchstäblich spüren, wie dieser unseren gesamten, noch ziemlich schläfrigen Körper wachrüttelte und wir plötzlich voller Tatendrang auf dem jetzt sehr bevölkerten Parkplatz standen.
Heute warteten einige hundert Kilometer auf uns. Ein guter Grund, um früh aufzustehen, herzhaft, ausgiebig zu frühstücken und sich bald auf die Socken zu machen. Denn ein paar spannende Ausflüge erwarteten uns heute an diesem noch sehr sonnigen Tag. Und so tuckerten wir bester Laune Richtung Nantes und von dort aus einmal quer durch die westliche Bretagne, bis wir nach mehr als 3 Stunden endlich wieder Meerwasser erblicken konnten. Genau genommen landeten wir planmäßig in Saint Malo. 
So ungefähr wusste ich ja, was uns erwarten würde, aber das es tatsächlich so cool sein würde, hätte ich nicht gedacht. Zunächst einmal mussten wir uns von der Granny trennen. Mit einem glücklichen Händchen konnten wir sie für ein paar Stündchen auf einem bis auf die letzte Lücke besetzten Parkplatz loswerden. Beim Aussteigen erst bemerkten wir, was für ein Sauwetter sich hier zusammengebraut hatte. Zugunsten unserer Regenjacken, so bekamen auch sie endlich einmal wieder Auslauf, wer will schon tagelang ungebraucht im Auto herumliegen?
Wenige Schritte später befanden wir uns bereits inmitten der von steinalten Festungsmauern umrandeten Altstadt. 
 der "Eingang" zur Altstadt

Durch das Tor Saint-Pierre stolzierten wir, auf dem holprigen Pflastersteinboden, hinunter zum Meer. Wir hatten Glück, das gerade Ebbe war. 


So konnten wir umherlaufen, über die Sandbank, geschmückt mit bunten Muscheln, Steinen, Meerespflänzchen und käseweisen Touristenbeinen, und das Fort National besichtigen. Sobald wir den Eingang der Inselburg passiert hatten, begaben wir uns auf eine Zeitreise und fanden uns im frühen 18. Jahrhundert wieder. Mit der Historie, die uns in gedruckter Form als Broschüre, sogar in deutscher Sprache, ausgehändigt wurde, konnten wir uns perfekt in die damalige Zeit und die aufgeführten Geschehnisse hineinfinden. Danilo studierte die Broschüre bis ins Details und erklärte mir anschließend wie einem Schulkind, was sich einst hier zugetragen hatte, währenddessen ich interessiert lauschte. 
Die Errichtung der Festung basierte darauf die dahinter liegende Stadt vor feindlichen Angriffen von Meeresseite zu schützen. Wenn man da so an den dicken, klammen Außenmauern steht, von denen man dachte, dass sie unzerstörbar wären, sich an ihnen festhält und in die Ferne blickt, kann man sich nur all zu gut vorstellen, wie es damals gewesen sein musste, wenn dort plötzlich eine kriegsbereite Flotte am Horizont erschien und genau wusste, dass es gleich böse scheppern würde. 
Teufelsschiff, eine Straße, die nach einer legendären, aber dennoch toten Katze benannt ist, Schießpulvergefechte und Kugelhagel - es gab viel zu sehen und spannende Geschichten an jeder Ecke zu entdecken. Wir hätten uns stundenlang hier aufhalten können, doch es gab ringsherum noch so viel mehr zu sehen. 
 der Ausblick vom Fort National - das Wetter passte 1a  zu den schaurigen Geschichten, die sich hinter den dicken, kalten Steinwänden verbargen

So zum Beispiel ein prächtiger Hügel, Fort du Grand Bé genannt, der sich bei Flut ebenfalls zur Insel verwandelt. Auf einem Schild konnten wir lesen, wie wir uns bei überraschendem Gezeitenwechsel zu verhalten hätten. Da diese hier ungeahnt zügig umswitchen können, und zudem bis zu 12 Meter Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser mit sich bringen, sollte man sich also tatsächlich besser an die Ratschläge der Stadt halten und gemäß den Fall, man würde von dem wiederkehrenden Wasserstrom kalt erwischt werden, ist es das ratsam einfach abzuwarten.
Kaum, dass wir das Schild gelesen hatten, bemerkten wir, dass die Sandinsel, über die wir soeben noch gelaufen waren, Stück für Stück weniger wurde. Wir hatten also nicht mehr all zu viel Zeit. Doch wollten wir uns noch ein weiteres Fort in unmittelbarer Nähe anschauen. Fort du Petit Bé.
 der Fußweg und Aufstieg zum Fort du Petit Bé
Wenn hier die Flut einsetzt, kann der Gehsteig zurück zum Festland schon einmal um einige Stunden versperrt werden. Doch in der heutigen Zeit ist man hier sehr gut vorbereitet. Überall hängen Gezeitenpläne, die wir zwei Vollspezialisten natürlich gekonnt ignoriert hatten. Also kletterten wir wagemutig den Anstieg hinauf. Oben angekommen machte uns der Pförtner klar, dass wir den Klettereinsatz umsonst gemacht hatten; der Zugang sei ab jetzt bis zur nächsten Ebbe geschlossen. Na klasse Willi! Als dann auch noch ein dicker, tollpatschiger Ordner im gelben Fischermantel auf dem unteren Steinweg vor dem Fort herumstolperte und durch das Megafon in seiner Hand verlauten ließ, dass alle Besucher sich umgehend zum Festland begeben sollen, gaben wir die Diskussion, dass wir doch bloß einen schnellen Blick hineinwerfen wollten, auf und traten die Rückreise an. Aber auch am und auf de Festland gab es noch einiges anzuschauen.
Zwar ist die Altstadt mittlerweile äußerst touristisch, aber wer kann es ihr verdenken. Zumal die Location mit ihrer Historie sowieso alles wett macht. Also Leute, für alle Burgenfreunde unter euch ist das hier ein absolutes visuelles und kulturelles Schmankerl! Aber auch alle anderen kommen auf ihre Kosten; die Schickimickis, die in der heutigen Altstadt ihr Monatsgehalt für Gucci und Co. aus dem Fenster schmeißen wollen, die Kletter- und Kraxelfreunde, die auf den nassen, klitschigen Felsen herumklettern und sich ein Bein brechen wollen, die Historiker, die einmal mehr eine schauderhafte Geschichte hören und studieren wollen, die Kinder, die Muscheln, Steine und Meeresbewohner sammeln, gegebenenfalls auch mal geschmacklich austesten wollen, ob sie einen guten Fund gemacht haben, ja sogar für die Leute, die eigentlich gar nicht wissen, was sie hier verloren haben, denn die können sich von Süßwarengeschäften, stupiden Souvenier Shops und Kinderattraktionen belustigen lassen. Zu mindestens 2 der gerade genannten Gruppen gehören wir auf jeden Fall dazu! Alles in allem war es ein sehr gelungener Ausflug!


 Danilos neuer Freund...
 ...den er versuchte anzufüttern...
 ...und der neu gewonnene Freund vor lauter Übermut von der Mauer plumpste! 
Gott sei Dank hatte das Vieh Flügel!
 Was auch immer wir da in der Patisserie erworben hatten, es war pink, klebrig, machte süchtig und brachte Übelkeit. Aber lecker war's!

Doch der Tag war ja noch lange nicht zu Ende. Zurück in der Granny, setzten wir die Segel zum nächsten Ziel: Le Mont Saint Michel
Nur eine Stunde später kamen wir dort an. Mit Erschrecken musste ich feststellen, dass sich hier in den vergangenen 9 Jahren, seitdem ich zuletzt hier gewesen war, doch einiges verändert hatte. Aus einer hübschen Burgfestung, welche von einer lächerlichen Zahl an Touristen, die man an einer Hand abzählen konnte, besichtigt und von echten Einwohnern besiedelt wurde, ist ein massentouristisches Spielzeug mit Souvenir-Prägemaschinen und Toiletten-Business geworden. Ich erinnere mich noch gut daran, dass man damals auch hier auf die Gezeiten achten musste. Heute war der Zugang zur Insel so gut ausgebaut, dass sogar hochmoderne, ja fast schon überirdische Space-Shuttlebusse umherpendelten, um die Unmengen an Menschen von dem 8-flächigen, beschrankten und maßlos überteuerten Besucherparkplatz zum Eingang zu bringen. Der Parkplatz befindet sich wohl angemerkt einige Kilometer weit von der Festung entfernt. Die erste halbe Stunde parken ist frei. Da man aber, egal ob mit Bus oder zu Fuß, weitaus länger als 30 Minuten braucht, es sei denn man heißt Usain Bolt oder Speedy Gonzales, um alleine nur zum Eingang zu gelangen, ist das bloß ein heimtückisches Lockmittel. Aber damit muss man sich hier abfinden. Wir entschieden uns für die Fuß-Variante. Nach einer Stunde kamen wir der Burg immer näher. Doch nun war die Flut gekommen und versperrte den feigen Besuchern unter uns, die sich ihre Stöckelschuhe nicht schmutzig machen wollten, die letzten Meter zum Eingang. Zugegeben stand das Wasser kniehoch auf dem Steg, doch das bisschen Pfütze könnte uns wohl kaum daran hindern auf die andere Seite zu kommen. "Das bisschen Pfütze" verursachte tatsächlich so viel Trubel, dass sogar die Polizei und ein komplettes Taucherteam mit Unterwasserstrahlern und voller Ausrüstung anwesend war, um den Besucherstrom in Schach zu halten, und eventuell einzugreifen, falls jemand zu ertrinken drohte. Dieses Bild war einfach unfassbar. Unterdessen zogen wir Schuhe und Hosen aus, wir hatten ja schließlich immer Badesachen drunter, und spazierten in aller Ruhe ans gegenüberliegende Ufer. Nicht aber ohne dumme Blicke von den Stelzenträgern zu kassieren, die sich vor lauter Augengerollen beinahe die teure, wasserfeste Mascara verschmierten. Es gab sogar Leute, die uns filmten. Ist das zu glauben?
Drüben angekommen, konnten wir uns wieder bekleiden und drehten eine Runde auf diese sagenhaften Bau mit den unendlich vielen Treppenstufen - nach 247 habe ich aufgehört zu zählen -, den vielen kleinen Gängen und schmalen Pfaden. Leider war es schon zu spät, um die Kathedrale zu besichtigen, also beschlossen wir am nächsten Morgen wiederzukehren und machten uns jetzt auf die weite Reise zurück zu unserem Auto. Das war auch gut so, denn ein Gewitter zog auf und breitete sich über unseren Köpfen aus. Keine Minute zu früh erreichten wir den Parkplatz, sattelten die Pferde und fuhren hinaus. Mal abgesehen von dem trouble, den uns unser Parkticket machte, weil der Kassenautomat es nicht auslesen konnte... Im nächsten Ort fanden wir ein geeignetes Fleckchen, wo wir übernachten konnten. Mit leichtem Prasselregen auf dem Dach und 100% Luftfeuchtigkeit schlumerten wir ein.

Eigentlich war der Plan am Morgen ganz früh aufzustehen, um zurück zur Burg zu laufen, und von dort aus den Sonnenaufgang anzuschauen. Doch die fetten Regenwolken wollten sich einfach nicht verziehen. Eigentlich war es uns um 05:30 Uhr in der Früh auch gerade recht, dass wir uns noch einmal umdrehen und wieder einschlafen durften. Doch gegen 08:00 Uhr wollten wir endlich los. Ab und zu muss man sich einfach mit den Gegebenheiten abfinden und auch bei Dreckswetter losziehen. Gerade das macht manchmal doch ganz schön viel aus, denn dieses düstere Wetter passte doch prima zu der Burgenkulisse. Und spätestens als "And when the rain begins to fall I'll be the sunshine in your life" aus dem Radio trällerte und Danilo plötzlich voll in sein Element fühlte, als er singend und heftig spastischen Handbewegungen versuchte die überflüssige Luft aus seinem Tanzbereich zu peitschen - wohlbemerkt alles, währenddessen er am Steuer saß -, war die Welt wieder in Ordnung.
Dieses Mal mussten wir uns nicht einmal "naggisch machen" um zur Insel zu kommen. Wir organisierten uns Kombitickets für alle Museen, die es auf der Insel zu besichtigen gab und zogen los. Wir sahen eine spektakuläre, visualisierte Ton- und Lichtshow über die gesamte Inselgeschichte, Ritterburgen, mittelalterliche Lebensweisen, Foltermethoden und Schneekugeln, passend zu Thema, die uns am Ende jedes der 4 Museen angedreht werden wollten. Anschließend wartete noch der Höhepunkt der Festung auf uns: Die Abtei Mont-Saint-Michel. Eine Baut, die man, für meine Begriffe, kaum in Worte fassen kann. Wenngleich sie heute vergeblich mit sinnloser "Kunst" aufzuwertet versucht wurde, das Original ist faszinierend genug und immer noch genauso überwältigend, wie ich es damals empfunden habe. Riesige Räume und Säle, in denen einst vielleicht die dollsten Parties gefeiert wurden, das Mönchsreflektorium, der Kreuzgang mit seinen einzigartig verzierten, malerischen Säulen und seinem grünen Mittelpunkt, das Plateau, von dem aus man meilenweit blicken und staunen kann und natürlich die Abteikirche selbst. Nach knapp 2 Stunden traten wir beflügelt den Heimweg an, diesmal ließen wir uns sogar vom Space-Shuttlebus chauffieren, damit wir die knappe Stunde nicht unnötig auf unserem Parkticket belastet bekämen würden. Doch unser Plan ging nicht ganz auf. Steht ein Auto länger als exakt 01:59:59 auf dem Parkplatz, springt die Uhr um und man muss automatisch den Satz für 24 Stunden zahlen. Insgesamt hatten wir uns an den 2 Tagen gerade einmal 3 Stunden hier vergnügt und waren zack 50 Euro ärmer. Doch wenn man bedenkt, das andere Leute sich nur 10 Minuten anderweitig vergnügen und anschließend 18 Jahre lang zahlen müssen, war unsere Rechnung doch nur eine Schüssel voll Peanuts.

Sei es drum, wir zahlten und machten uns vom Acker, um den restlichen Tag zu nutzen.
Heute würden wir ein anderes, düsteres Kapitel aufschlagen.

Impressionen von le Mont Saint Michel:
grau in grau: französischer Hochsommer und außerirdische Mondfahrzeuge zum Transport von ebenso außerirdischen Touristen mit gefährlichen selbstfotografierenden Metallstöcken, die gerne auch einmal - gewollt oder ungewollt - als Waffe missbraucht werden - Vorsicht ist geboten!