Montag, 31. August 2015

Lach- und Sachgeschichten mit Danilo

Heute: Geschichten hinter dicken Mauern

Die Sonne kitzelte unsere Nasen, als sie den stechend blauen Morgenhorizont hinaufkletterte. Heftig blinzelnd und noch etwas verdattelt rieben wir uns den Schlaf aus den Schlitzaugen, die sich noch gar nicht so wirklich öffnen wollten und sich vom Tageslicht ziemlich überfordert fühlten, reckten und streckten unsere eingeschlafenen Glieder und kletterten ins Freie, wo uns eine Überdosis Frischluft entgegenbließ. Mit einem tiefen Atemzug füllten wir unsere Lungen mit dem taufrischen Sauerstoff, man konnte buchstäblich spüren, wie dieser unseren gesamten, noch ziemlich schläfrigen Körper wachrüttelte und wir plötzlich voller Tatendrang auf dem jetzt sehr bevölkerten Parkplatz standen.
Heute warteten einige hundert Kilometer auf uns. Ein guter Grund, um früh aufzustehen, herzhaft, ausgiebig zu frühstücken und sich bald auf die Socken zu machen. Denn ein paar spannende Ausflüge erwarteten uns heute an diesem noch sehr sonnigen Tag. Und so tuckerten wir bester Laune Richtung Nantes und von dort aus einmal quer durch die westliche Bretagne, bis wir nach mehr als 3 Stunden endlich wieder Meerwasser erblicken konnten. Genau genommen landeten wir planmäßig in Saint Malo. 
So ungefähr wusste ich ja, was uns erwarten würde, aber das es tatsächlich so cool sein würde, hätte ich nicht gedacht. Zunächst einmal mussten wir uns von der Granny trennen. Mit einem glücklichen Händchen konnten wir sie für ein paar Stündchen auf einem bis auf die letzte Lücke besetzten Parkplatz loswerden. Beim Aussteigen erst bemerkten wir, was für ein Sauwetter sich hier zusammengebraut hatte. Zugunsten unserer Regenjacken, so bekamen auch sie endlich einmal wieder Auslauf, wer will schon tagelang ungebraucht im Auto herumliegen?
Wenige Schritte später befanden wir uns bereits inmitten der von steinalten Festungsmauern umrandeten Altstadt. 
 der "Eingang" zur Altstadt

Durch das Tor Saint-Pierre stolzierten wir, auf dem holprigen Pflastersteinboden, hinunter zum Meer. Wir hatten Glück, das gerade Ebbe war. 


So konnten wir umherlaufen, über die Sandbank, geschmückt mit bunten Muscheln, Steinen, Meerespflänzchen und käseweisen Touristenbeinen, und das Fort National besichtigen. Sobald wir den Eingang der Inselburg passiert hatten, begaben wir uns auf eine Zeitreise und fanden uns im frühen 18. Jahrhundert wieder. Mit der Historie, die uns in gedruckter Form als Broschüre, sogar in deutscher Sprache, ausgehändigt wurde, konnten wir uns perfekt in die damalige Zeit und die aufgeführten Geschehnisse hineinfinden. Danilo studierte die Broschüre bis ins Details und erklärte mir anschließend wie einem Schulkind, was sich einst hier zugetragen hatte, währenddessen ich interessiert lauschte. 
Die Errichtung der Festung basierte darauf die dahinter liegende Stadt vor feindlichen Angriffen von Meeresseite zu schützen. Wenn man da so an den dicken, klammen Außenmauern steht, von denen man dachte, dass sie unzerstörbar wären, sich an ihnen festhält und in die Ferne blickt, kann man sich nur all zu gut vorstellen, wie es damals gewesen sein musste, wenn dort plötzlich eine kriegsbereite Flotte am Horizont erschien und genau wusste, dass es gleich böse scheppern würde. 
Teufelsschiff, eine Straße, die nach einer legendären, aber dennoch toten Katze benannt ist, Schießpulvergefechte und Kugelhagel - es gab viel zu sehen und spannende Geschichten an jeder Ecke zu entdecken. Wir hätten uns stundenlang hier aufhalten können, doch es gab ringsherum noch so viel mehr zu sehen. 
 der Ausblick vom Fort National - das Wetter passte 1a  zu den schaurigen Geschichten, die sich hinter den dicken, kalten Steinwänden verbargen

So zum Beispiel ein prächtiger Hügel, Fort du Grand Bé genannt, der sich bei Flut ebenfalls zur Insel verwandelt. Auf einem Schild konnten wir lesen, wie wir uns bei überraschendem Gezeitenwechsel zu verhalten hätten. Da diese hier ungeahnt zügig umswitchen können, und zudem bis zu 12 Meter Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser mit sich bringen, sollte man sich also tatsächlich besser an die Ratschläge der Stadt halten und gemäß den Fall, man würde von dem wiederkehrenden Wasserstrom kalt erwischt werden, ist es das ratsam einfach abzuwarten.
Kaum, dass wir das Schild gelesen hatten, bemerkten wir, dass die Sandinsel, über die wir soeben noch gelaufen waren, Stück für Stück weniger wurde. Wir hatten also nicht mehr all zu viel Zeit. Doch wollten wir uns noch ein weiteres Fort in unmittelbarer Nähe anschauen. Fort du Petit Bé.
 der Fußweg und Aufstieg zum Fort du Petit Bé
Wenn hier die Flut einsetzt, kann der Gehsteig zurück zum Festland schon einmal um einige Stunden versperrt werden. Doch in der heutigen Zeit ist man hier sehr gut vorbereitet. Überall hängen Gezeitenpläne, die wir zwei Vollspezialisten natürlich gekonnt ignoriert hatten. Also kletterten wir wagemutig den Anstieg hinauf. Oben angekommen machte uns der Pförtner klar, dass wir den Klettereinsatz umsonst gemacht hatten; der Zugang sei ab jetzt bis zur nächsten Ebbe geschlossen. Na klasse Willi! Als dann auch noch ein dicker, tollpatschiger Ordner im gelben Fischermantel auf dem unteren Steinweg vor dem Fort herumstolperte und durch das Megafon in seiner Hand verlauten ließ, dass alle Besucher sich umgehend zum Festland begeben sollen, gaben wir die Diskussion, dass wir doch bloß einen schnellen Blick hineinwerfen wollten, auf und traten die Rückreise an. Aber auch am und auf de Festland gab es noch einiges anzuschauen.
Zwar ist die Altstadt mittlerweile äußerst touristisch, aber wer kann es ihr verdenken. Zumal die Location mit ihrer Historie sowieso alles wett macht. Also Leute, für alle Burgenfreunde unter euch ist das hier ein absolutes visuelles und kulturelles Schmankerl! Aber auch alle anderen kommen auf ihre Kosten; die Schickimickis, die in der heutigen Altstadt ihr Monatsgehalt für Gucci und Co. aus dem Fenster schmeißen wollen, die Kletter- und Kraxelfreunde, die auf den nassen, klitschigen Felsen herumklettern und sich ein Bein brechen wollen, die Historiker, die einmal mehr eine schauderhafte Geschichte hören und studieren wollen, die Kinder, die Muscheln, Steine und Meeresbewohner sammeln, gegebenenfalls auch mal geschmacklich austesten wollen, ob sie einen guten Fund gemacht haben, ja sogar für die Leute, die eigentlich gar nicht wissen, was sie hier verloren haben, denn die können sich von Süßwarengeschäften, stupiden Souvenier Shops und Kinderattraktionen belustigen lassen. Zu mindestens 2 der gerade genannten Gruppen gehören wir auf jeden Fall dazu! Alles in allem war es ein sehr gelungener Ausflug!


 Danilos neuer Freund...
 ...den er versuchte anzufüttern...
 ...und der neu gewonnene Freund vor lauter Übermut von der Mauer plumpste! 
Gott sei Dank hatte das Vieh Flügel!
 Was auch immer wir da in der Patisserie erworben hatten, es war pink, klebrig, machte süchtig und brachte Übelkeit. Aber lecker war's!

Doch der Tag war ja noch lange nicht zu Ende. Zurück in der Granny, setzten wir die Segel zum nächsten Ziel: Le Mont Saint Michel
Nur eine Stunde später kamen wir dort an. Mit Erschrecken musste ich feststellen, dass sich hier in den vergangenen 9 Jahren, seitdem ich zuletzt hier gewesen war, doch einiges verändert hatte. Aus einer hübschen Burgfestung, welche von einer lächerlichen Zahl an Touristen, die man an einer Hand abzählen konnte, besichtigt und von echten Einwohnern besiedelt wurde, ist ein massentouristisches Spielzeug mit Souvenir-Prägemaschinen und Toiletten-Business geworden. Ich erinnere mich noch gut daran, dass man damals auch hier auf die Gezeiten achten musste. Heute war der Zugang zur Insel so gut ausgebaut, dass sogar hochmoderne, ja fast schon überirdische Space-Shuttlebusse umherpendelten, um die Unmengen an Menschen von dem 8-flächigen, beschrankten und maßlos überteuerten Besucherparkplatz zum Eingang zu bringen. Der Parkplatz befindet sich wohl angemerkt einige Kilometer weit von der Festung entfernt. Die erste halbe Stunde parken ist frei. Da man aber, egal ob mit Bus oder zu Fuß, weitaus länger als 30 Minuten braucht, es sei denn man heißt Usain Bolt oder Speedy Gonzales, um alleine nur zum Eingang zu gelangen, ist das bloß ein heimtückisches Lockmittel. Aber damit muss man sich hier abfinden. Wir entschieden uns für die Fuß-Variante. Nach einer Stunde kamen wir der Burg immer näher. Doch nun war die Flut gekommen und versperrte den feigen Besuchern unter uns, die sich ihre Stöckelschuhe nicht schmutzig machen wollten, die letzten Meter zum Eingang. Zugegeben stand das Wasser kniehoch auf dem Steg, doch das bisschen Pfütze könnte uns wohl kaum daran hindern auf die andere Seite zu kommen. "Das bisschen Pfütze" verursachte tatsächlich so viel Trubel, dass sogar die Polizei und ein komplettes Taucherteam mit Unterwasserstrahlern und voller Ausrüstung anwesend war, um den Besucherstrom in Schach zu halten, und eventuell einzugreifen, falls jemand zu ertrinken drohte. Dieses Bild war einfach unfassbar. Unterdessen zogen wir Schuhe und Hosen aus, wir hatten ja schließlich immer Badesachen drunter, und spazierten in aller Ruhe ans gegenüberliegende Ufer. Nicht aber ohne dumme Blicke von den Stelzenträgern zu kassieren, die sich vor lauter Augengerollen beinahe die teure, wasserfeste Mascara verschmierten. Es gab sogar Leute, die uns filmten. Ist das zu glauben?
Drüben angekommen, konnten wir uns wieder bekleiden und drehten eine Runde auf diese sagenhaften Bau mit den unendlich vielen Treppenstufen - nach 247 habe ich aufgehört zu zählen -, den vielen kleinen Gängen und schmalen Pfaden. Leider war es schon zu spät, um die Kathedrale zu besichtigen, also beschlossen wir am nächsten Morgen wiederzukehren und machten uns jetzt auf die weite Reise zurück zu unserem Auto. Das war auch gut so, denn ein Gewitter zog auf und breitete sich über unseren Köpfen aus. Keine Minute zu früh erreichten wir den Parkplatz, sattelten die Pferde und fuhren hinaus. Mal abgesehen von dem trouble, den uns unser Parkticket machte, weil der Kassenautomat es nicht auslesen konnte... Im nächsten Ort fanden wir ein geeignetes Fleckchen, wo wir übernachten konnten. Mit leichtem Prasselregen auf dem Dach und 100% Luftfeuchtigkeit schlumerten wir ein.

Eigentlich war der Plan am Morgen ganz früh aufzustehen, um zurück zur Burg zu laufen, und von dort aus den Sonnenaufgang anzuschauen. Doch die fetten Regenwolken wollten sich einfach nicht verziehen. Eigentlich war es uns um 05:30 Uhr in der Früh auch gerade recht, dass wir uns noch einmal umdrehen und wieder einschlafen durften. Doch gegen 08:00 Uhr wollten wir endlich los. Ab und zu muss man sich einfach mit den Gegebenheiten abfinden und auch bei Dreckswetter losziehen. Gerade das macht manchmal doch ganz schön viel aus, denn dieses düstere Wetter passte doch prima zu der Burgenkulisse. Und spätestens als "And when the rain begins to fall I'll be the sunshine in your life" aus dem Radio trällerte und Danilo plötzlich voll in sein Element fühlte, als er singend und heftig spastischen Handbewegungen versuchte die überflüssige Luft aus seinem Tanzbereich zu peitschen - wohlbemerkt alles, währenddessen er am Steuer saß -, war die Welt wieder in Ordnung.
Dieses Mal mussten wir uns nicht einmal "naggisch machen" um zur Insel zu kommen. Wir organisierten uns Kombitickets für alle Museen, die es auf der Insel zu besichtigen gab und zogen los. Wir sahen eine spektakuläre, visualisierte Ton- und Lichtshow über die gesamte Inselgeschichte, Ritterburgen, mittelalterliche Lebensweisen, Foltermethoden und Schneekugeln, passend zu Thema, die uns am Ende jedes der 4 Museen angedreht werden wollten. Anschließend wartete noch der Höhepunkt der Festung auf uns: Die Abtei Mont-Saint-Michel. Eine Baut, die man, für meine Begriffe, kaum in Worte fassen kann. Wenngleich sie heute vergeblich mit sinnloser "Kunst" aufzuwertet versucht wurde, das Original ist faszinierend genug und immer noch genauso überwältigend, wie ich es damals empfunden habe. Riesige Räume und Säle, in denen einst vielleicht die dollsten Parties gefeiert wurden, das Mönchsreflektorium, der Kreuzgang mit seinen einzigartig verzierten, malerischen Säulen und seinem grünen Mittelpunkt, das Plateau, von dem aus man meilenweit blicken und staunen kann und natürlich die Abteikirche selbst. Nach knapp 2 Stunden traten wir beflügelt den Heimweg an, diesmal ließen wir uns sogar vom Space-Shuttlebus chauffieren, damit wir die knappe Stunde nicht unnötig auf unserem Parkticket belastet bekämen würden. Doch unser Plan ging nicht ganz auf. Steht ein Auto länger als exakt 01:59:59 auf dem Parkplatz, springt die Uhr um und man muss automatisch den Satz für 24 Stunden zahlen. Insgesamt hatten wir uns an den 2 Tagen gerade einmal 3 Stunden hier vergnügt und waren zack 50 Euro ärmer. Doch wenn man bedenkt, das andere Leute sich nur 10 Minuten anderweitig vergnügen und anschließend 18 Jahre lang zahlen müssen, war unsere Rechnung doch nur eine Schüssel voll Peanuts.

Sei es drum, wir zahlten und machten uns vom Acker, um den restlichen Tag zu nutzen.
Heute würden wir ein anderes, düsteres Kapitel aufschlagen.

Impressionen von le Mont Saint Michel:
grau in grau: französischer Hochsommer und außerirdische Mondfahrzeuge zum Transport von ebenso außerirdischen Touristen mit gefährlichen selbstfotografierenden Metallstöcken, die gerne auch einmal - gewollt oder ungewollt - als Waffe missbraucht werden - Vorsicht ist geboten!







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